Fall Graefen  (Wirbel um Justizminister Bamberger (RLP))

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL

BVerwG 2 C 16.09

OVG 10 A 10805/08

Verkündet

am 4. November 2010

Schütz

Justizhauptsekretärin

als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle

In der Verwaltungsstreitsache

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hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts

auf die mündliche Verhandlung vom 4. November 2010

durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Herbert,

den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Heitz,

die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Thomsen,

den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Maidowski und

die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Eppelt

für Recht erkannt:

Die Ernennung des Beigeladenen zum Präsidenten des

Oberlandesgerichts vom 22. Juni 2007 und seine Einweisung

in die Planstelle des Präsidenten des Oberlandesgerichts

Koblenz werden mit Wirkung ab Zustellung dieses

Urteils an den Beklagten aufgehoben. Der Beklagte wird

verpflichtet, über die Besetzung der Stelle des Präsidenten

des Oberlandesgerichts Koblenz unter Beachtung der

Rechtsauffassung des Senats erneut zu entscheiden.

Die Urteile des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz

vom 30. Januar 2009 und des Verwaltungsgerichts Koblenz

vom 1. Juli 2008 werden aufgehoben, soweit sie dem

entgegenstehen.

Im Übrigen wird die Revision des Klägers zurückgewiesen.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens in allen

Rechtszügen mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten

des Beigeladenen, die dieser selbst trägt.

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G r ü n d e :

I

Der Kläger als Präsident des Landgerichts Koblenz (Besoldungsgruppe R 6)

und der Beigeladene als damaliger Präsident des Landessozialgerichts (Besoldungsgruppe

R 6) bewarben sich auf die nach R 8 besoldete Stelle des Präsidenten

des Oberlandesgerichts in Koblenz. Die Stelle war frei geworden, weil

der Amtsinhaber Justizminister des beklagten Landes geworden war.

Der Justizminister gab dem Beigeladenen aufgrund einer von ihm selbst erstellten

Anlassbeurteilung den Vorzug. Der Präsidialrat der ordentlichen Gerichtsbarkeit

sprach sich wegen der fehlenden Erfahrung des Beigeladenen im Bereich

dieser Gerichtsbarkeit gegen ihn aus. Nach dem Landesrichtergesetz bedurfte

der Besetzungsvorschlag der Zustimmung des Richterwahlausschusses,

wofür die Mehrheit der abgegebenen Stimmen erforderlich ist. In der Sitzung

des Ausschusses vom 8. Februar 2007 stimmten in der gesetzlich vorgesehenen

offenen Abstimmung fünf Mitglieder für und vier Mitglieder gegen den Besetzungsvorschlag.

Die beiden richterlichen Mitglieder enthielten sich ihrer

Stimme. Sie waren unmittelbar vor der Sitzung des Ausschusses von der

Staatssekretärin des Justizministeriums zu einem Gespräch in ihrem Dienstzimmer

gebeten worden.

Der Antrag des Klägers, dem Beklagten im Wege einstweiliger Anordnung die

Ernennung des Beigeladenen zum Präsidenten des Oberlandesgerichts zu untersagen,

blieb in beiden Instanzen erfolglos. Das Oberverwaltungsgericht wies

die Beschwerde des Klägers gegen die Entscheidung des Verwaltungsgerichts

durch Beschluss vom 13. Juni 2007 zurück. Darin heißt es, der Richterwahlausschuss

habe dem Besetzungsvorschlag zugestimmt, weil die Zahl der Ja-

Stimmen die Zahl der Nein-Stimmen überwogen habe. Es gebe keine greifbaren

Anhaltspunkte für eine sachwidrige Beeinflussung der richterlichen Ausschussmitglieder

durch die Staatssekretärin. Die Auswahlentscheidung des

Justizministers sei frei von Rechtsfehlern. Dessen Anlassbeurteilung für den

Beigeladenen sei auf zureichende tatsächliche Erkenntnisse gestützt. Der Jus-

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tizminister habe statistische Unterlagen über die Arbeitsergebnisse der Sozialgerichtsbarkeit

während der Amtszeit des Beigeladenen als Präsident des Landessozialgerichts

verwertet. Darüber hinaus habe er seinen persönlichen Eindruck

von dem Beigeladenen zugrunde gelegt, den er aufgrund der regelmäßigen

Kontakte der Präsidenten der Obergerichte gewonnen habe. Da sowohl

der Kläger als auch der Beigeladene mit der bestmöglichen Gesamtnote beurteilt

worden seien, habe der Justizminister die Auswahl des Beigeladenen zu

Recht auf bestimmte aussagekräftige Gesichtspunkte gestützt. Er habe rechtsfehlerfrei

darauf abgestellt, dass der Beigeladene bereits jahrelang Präsident

eines Obergerichts gewesen sei, während seiner Amtszeit die Sozialgerichtsbarkeit

des Landes nach den Statistiken über die Bearbeitung sozialgerichtlicher

Verfahren in die Spitzengruppe der Sozialgerichtsbarkeiten geführt habe

und nur ihm die ständige Bereitschaft zur Modernisierung der Justiz und zur

Innovation bescheinigt worden sei.

Während des Beschwerdeverfahrens hatte der Kläger angekündigt, er werde

im Falle der Zurückweisung seiner Beschwerde verfassungsgerichtlichen Eilrechtsschutz

in Anspruch nehmen.

Der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts vom 13. Juni 2007 wurde dem

Prozessbevollmächtigten des Klägers und dem Justizministerium des Beklagten

jeweils am 22. Juni 2007 zur Mittagszeit per Telefax übermittelt. Ungefähr

eine halbe Stunde später händigte der Justizminister in seinem Dienstzimmer

dem Beigeladenen die Ernennungsurkunde aus. Die danach eingelegte Verfassungsbeschwerde

des Klägers nahm die zuständige Kammer des Bundesverfassungsgerichts

durch Beschluss vom 24. September 2007 nicht zur Entscheidung

an. In den Gründen heißt es, die Ernennung des Beigeladenen unmittelbar

nach der Bekanntgabe der Beschwerdeentscheidung trotz der dem

Beklagten mitgeteilten Absicht des Klägers, das Bundesverfassungsgericht anzurufen,

verletze den Kläger in seinen Rechten aus Art. 33 Abs. 2 GG in Verbindung

mit Art. 19 Abs. 4 GG. Jedoch sei dem Kläger zuzumuten, den

Rechtsweg auszuschöpfen, weil eine Hauptsacheklage angesichts der jüngeren

Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht als offensichtlich aussichtslos

bewertet werden könne.

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Mit seiner Klage will der Kläger hauptsächlich die Aufhebung der Ernennung

des Beigeladenen zum Präsidenten des Oberlandesgerichts erreichen. Hilfsweise

strebt er seine Ernennung zusätzlich zu derjenigen des Beigeladenen an.

Weiter hilfsweise will er festgestellt wissen, dass ihn sowohl die Ernennung des

Beigeladenen und die zugrunde liegende Auswahlentscheidung als auch die

Vornahme der Ernennung vor einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts

in seinen Rechten verletzten.

Die Klage ist in den Vorinstanzen erfolglos geblieben. Das Oberverwaltungsgericht

hat sie in Bezug auf sämtliche Klagebegehren als unzulässig angesehen.

Sein Berufungsurteil ist im Wesentlichen auf folgende Erwägungen gestützt:

Die Ernennung des Beigeladenen könne nach dem Grundsatz der Ämterstabilität

nicht rückgängig gemacht werden. Es sei auch rechtlich unmöglich, den

Kläger zum weiteren Präsidenten des Oberlandesgerichts zu ernennen. Die

Planstellen für die Präsidenten der beiden Oberlandesgerichte des Beklagten

seien rechtsbeständig besetzt. Die Bereitstellung einer dritten Planstelle komme

nicht in Betracht. Auch habe der Justizminister die Gewährung wirkungsvollen

Rechtsschutzes nicht verhindert. Er habe nach dem damaligen Stand der

Rechtsprechung keinen Grund zu der Annahme gehabt, er müsse mit der Ernennung

des Beigeladenen nach Abschluss des einstweiligen Anordnungsverfahrens

weiter zuwarten, um dem Kläger die Anrufung des Bundesverfassungsgerichts

zu ermöglichen. Der Kläger habe kein berechtigtes Interesse an

der Feststellung, dass er durch Auswahl und Ernennung des Beigeladenen in

seinen Rechten verletzt worden sei. Die Feststellung einer Rechtsverletzung

durch die vorzeitige Ernennung des Beigeladenen am 22. Juni 2007 sei nicht

möglich, weil das vor Klageerhebung erforderliche Widerspruchsverfahren nicht

stattgefunden habe.

Mit der vom Oberverwaltungsgericht wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassenen

Revision macht der Kläger geltend, das Berufungsurteil verletze seine

Rechte aus Art. 33 Abs. 2 GG in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG. Zudem

erhebt er Besetzungs-, Aufklärungs- und Gehörsrügen.

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Der Kläger beantragt mit dem Hauptantrag,

die Urteile des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz

vom 30. Januar 2009 und des Verwaltungsgerichts Koblenz

vom 1. Juli 2008 aufzuheben sowie die Ernennung

des Beigeladenen zum Präsidenten des Oberlandesgerichts

und dessen Einweisung in die Planstelle des Präsidenten

des Oberlandesgerichts Koblenz aufzuheben und

den Beklagten zu verpflichten, den Kläger zum Präsidenten

des Oberlandesgerichts zu ernennen und in die dazugehörende

Planstelle einzuweisen, hilfsweise über die

Besetzung der Stelle des Präsidenten des Oberlandesgerichts

Koblenz unter Beachtung der Rechtsauffassung des

Senats erneut zu entscheiden.

Der Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Der Beklagte verteidigt das angefochtene Berufungsurteil.

Der Beigeladene beteiligt sich nicht am Revisionsverfahren.

II

Die Revision des Klägers ist zulässig. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers

hat die Revisionsbegründung form- und fristgerecht als elektronisches Dokument

eingereicht (§ 55a Abs. 1 VwGO in Verbindung mit der Verordnung über

den elektronischen Rechtsverkehr beim Bundesverwaltungsgericht und beim

Bundesfinanzhof - ERVVO - vom 26. November 2004, BGBl I S. 3091).

Bei elektronisch übermittelten Dokumenten, die einem schriftlich zu unterzeichnenden

Schriftstück gleichstehen, tritt die qualifizierte elektronische Signatur an

die Stelle der Unterschrift (§ 55a Abs. 1 Satz 3 VwGO; § 2 Abs. 6 ERRVO). Die

Signatur soll die Authentizität und die Integrität des übermittelten elektronischen

Dokuments sicherstellen (§ 55a Abs. 1 Satz 3 VwGO). Sie soll Gewähr dafür

bieten, dass das anstelle eines Schriftstücks eingereichte Dokument von einem

bestimmten Verfasser stammt und mit seinem Willen übermittelt worden ist.

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Daher reicht es bei Übermittlung des Dokuments als Anlage einer Datei aus,

dass diese in einer Weise signiert ist, die keinen Zweifel an dem Verfasser des

Dokuments zulässt. Es ist dann nicht erforderlich, dass er das Dokument gesondert

signiert. Dementsprechend hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers

in Einklang mit den Vorgaben des Bundesverwaltungsgerichts nur die Datei

signiert, mit der er die Revisionsbegründung fristgemäß elektronisch übermittelt

hat.

Die Revision des Klägers ist mit dem Hauptantrag im Wesentlichen begründet.

Die angefochtene Ernennung des Beigeladenen zum Präsidenten des Oberlandesgerichts

und seine Einweisung in die dazugehörende Planstelle beim

Oberlandesgericht Koblenz sind mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, weil

die Ernennung die Rechte der Klägers aus Art. 33 Abs. 2 GG in Verbindung mit

Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG verletzt und der Grundsatz der Ämterstabilität der

Aufhebung nicht entgegensteht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Der Beklagte muss

über die Vergabe des Amtes des Präsidenten des Oberlandesgerichts aufgrund

eines erneuten Auswahlverfahrens unter Beachtung der Rechtsauffassung des

Senats nochmals entscheiden.

1. Der Kläger kann die Ernennung des Beigeladenen anfechten, weil sie in seine

Rechte eingreift. Die Ernennung eines nach Maßgabe des Art. 33 Abs. 2 GG

ausgewählten Bewerbers für ein Amt stellt einen Verwaltungsakt dar, der darauf

gerichtet ist, unmittelbare Rechtswirkungen für die durch Art. 33 Abs. 2 GG

gewährleisteten Bewerbungsverfahrensansprüche der unterlegenen Bewerber

zu entfalten.

Einer Ernennung bedarf es, um einem Richter oder Beamten auf Lebenszeit

ein höherwertiges, nämlich einer höheren Besoldungsgruppe zugeordnetes

Amt im statusrechtlichen Sinne zu verleihen (Beförderung; vgl. § 5 Abs. 1 des

Landesrichtergesetzes Rheinland Pfalz - LRiG RP - i.V.m. § 8 Abs. 1 Nr. 4 des

Landesbeamtengesetzes Rheinland-Pfalz - LBG RP -; nunmehr § 8 Abs. 1

Nr. 3 des Beamtenstatusgesetzes - BeamtStG -). Die Ernennung erfolgt durch

Aushändigung der Ernennungsurkunde (§ 8 Abs. 2 Satz 1 LBG RP; § 8 Abs. 2

Satz 1 BeamtStG). Dadurch wird der Richter oder Beamte Inhaber des höher-

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- 8 -

wertigen Amtes mit den daran geknüpften Rechten und Pflichten aus dem

Richter- oder Beamtenverhältnis. Die Ernennung begründet Ansprüche auf die

Einweisung in die zu dem Amt gehörende Planstelle und auf eine dem neuen

Amt angemessene Beschäftigung bei dem Gericht oder der Behörde, der die

Planstelle zugeordnet ist (Urteile vom 23. September 2004 - BVerwG 2 C 27.03

- BVerwGE 122, 53 <55 f.> und vom 22. Juni 2006 - BVerwG 2 C 26.05

- BVerwGE 126, 182 Rn. 12).

Darüber hinaus ist die Ernennung nach ihrem Regelungsgehalt auf unmittelbare

Rechtswirkungen für diejenigen Bewerber gerichtet, die sich erfolglos um die

Verleihung des Amtes beworben haben. Die Ernennung greift in deren Rechte

aus Art. 33 Abs. 2 GG ein, weil sie in einem untrennbaren rechtlichen Zusammenhang

mit der Entscheidung des Dienstherrn über die Bewerberauswahl

steht und deren rechtliches Schicksal teilt. Die Ernennung des ausgewählten

Bewerbers ist Ziel und Abschluss des Auswahlverfahrens.

Der Dienstherr ist an den Leistungsgrundsatz nach Art. 33 Abs. 2 GG gebunden,

wenn er ein Amt im statusrechtlichen Sinne nicht durch Umsetzung oder

eine den Status nicht berührende Versetzung, sondern durch Beförderung des

Inhabers eines niedrigeren Amtes vergeben will. Nach Art. 33 Abs. 2 GG dürfen

Ämter nur nach Kriterien vergeben werden, die unmittelbar Eignung, Befähigung

und fachliche Leistung betreffen. Hierbei handelt es sich um Gesichtspunkte,

die darüber Aufschluss geben, in welchem Maße der Richter oder Beamte

den Anforderungen seines Amtes genügt und sich in einem höheren Amt

voraussichtlich bewähren wird. Art. 33 Abs. 2 GG gilt für Beförderungen unbeschränkt

und vorbehaltlos; er enthält keine Einschränkungen, die die Bedeutung

des Leistungsgrundsatzes relativieren. Diese inhaltlichen Anforderungen

des Art. 33 Abs. 2 GG für die Vergabe höherwertiger Ämter machen eine Bewerberauswahl

notwendig. Der Dienstherr muss Bewerbungen von Richtern

oder Beamten um das höherwertige Amt zulassen und darf das Amt nur demjenigen

Bewerber verleihen, den er aufgrund eines den Vorgaben des Art. 33

Abs. 2 GG entsprechenden Leistungsvergleichs als den am besten geeigneten

ausgewählt hat (BVerfG, Kammerbeschluss vom 24. September 2002 - 2 BvR

857/02 - NVwZ 2003, 200 <201>; BVerwG, Urteile vom 28. Oktober 2004

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- BVerwG 2 C 23.03 - BVerwGE 122, 147 <149 f.> = Buchholz 11 Art. 33

Abs. 2 GG Nr. 30 S. 16 f., vom 25. November 2004 - BVerwG 2 C 17.03 -

BVerwGE 122, 237 <239 f.> = Buchholz 11 Art. 33 Abs. 2 GG Nr. 31 S. 22 f.,

vom 17. August 2005 - BVerwG 2 C 37.04 - BVerwGE 124, 99 <102 f.> =

Buchholz 11 Art. 33 Abs. 2 GG Nr. 32 S. 28 f. und vom 11. Februar 2009

- BVerwG 2 A 7.06 - Buchholz 232 § 23 BBG Nr. 44 Rn. 17 f.).

Art. 33 Abs. 2 GG dient dem öffentlichen Interesse an der bestmöglichen Besetzung

der Stellen des öffentlichen Dienstes. Fachliches Niveau und rechtliche

Integrität des öffentlichen Dienstes sollen gerade durch die ungeschmälerte

Anwendung des Leistungsgrundsatzes gewährleistet werden. Zudem vermittelt

Art. 33 Abs. 2 GG Bewerbern ein grundrechtsgleiches Recht auf leistungsgerechte

Einbeziehung in die Bewerberauswahl. Jeder Bewerber um das Amt hat

einen Anspruch darauf, dass der Dienstherr seine Bewerbung nur aus Gründen

zurückweist, die durch den Leistungsgrundsatz gedeckt sind (Bewerbungsverfahrensanspruch;

vgl. Urteile vom 28. Oktober 2004 a.a.O. und vom 17. August

2005 a.a.O).

Als Anspruch auf leistungsgerechte Einbeziehung in die Bewerberauswahl wird

der Bewerbungsverfahrensanspruch auch erfüllt, wenn der Dienstherr die Bewerbung

ablehnt, weil er in Einklang mit Art. 33 Abs. 2 GG einen anderen Bewerber

für am besten geeignet hält. Nur in den seltenen Ausnahmefällen, in

denen der dem Dienstherrn durch Art. 33 Abs. 2 GG eröffnete Beurteilungsspielraum

für die Gewichtung der Leistungskriterien auf Null reduziert ist, d.h.

ein Bewerber eindeutig am Besten geeignet ist, gibt Art. 33 Abs. 2 GG diesem

Bewerber einen Anspruch auf Erfolg im Auswahlverfahren. Dessen Bewerbungsverfahrensanspruch

erstarkt zum Anspruch auf Vergabe des höheren

Amtes.

Aufgrund seiner Zielrichtung ist der Bewerbungsverfahrensanspruch an ein laufendes

Auswahlverfahren zur Vergabe eines bestimmten Amtes geknüpft. Die

Bewerber um dieses Amt stehen in einem Wettbewerb, dessen Regeln der

Leistungsgrundsatz vorgibt. Ihre Ansprüche stehen nicht isoliert nebeneinander,

sondern sind aufeinander bezogen. Sie werden in Ansehung des konkre-

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ten Bewerberfeldes, d.h. des Leistungsvermögens der Mitbewerber, inhaltlich

konkretisiert. Jede Benachteiligung oder Bevorzugung eines Bewerbers wirkt

sich auch auf die Erfolgsaussichten der Mitbewerber aus. Dies gilt umso mehr,

je weniger Bewerber um das Amt konkurrieren.

Ein Verstoß gegen Art. 33 Abs. 2 GG kann sich daraus ergeben, dass ein Leistungsvergleich

gar nicht möglich ist, weil es bereits an tragfähigen Erkenntnissen

über das Leistungsvermögen, d.h. an aussagekräftigen dienstlichen Beurteilungen,

fehlt. Der eigentliche Leistungsvergleich verletzt Art. 33 Abs. 2 GG,

wenn nicht unmittelbar leistungsbezogene Gesichtspunkte in die Auswahlentscheidung

einfließen oder die Leistungsmerkmale fehlerhaft gewichtet werden.

Aus der gegenseitigen Abhängigkeit der Bewerbungen folgt, dass jeder Bewerber

im Stande sein muss, sowohl eigene Benachteiligungen als auch Bevorzugungen

eines anderen zu verhindern, die nicht durch Art. 33 Abs. 2 GG gedeckt

sind. Daher kann sich eine Verletzung seines Bewerbungsverfahrensanspruchs

auch aus der Beurteilung eines Mitbewerbers oder aus dem Leistungsvergleich

zwischen ihnen ergeben. Voraussetzung ist nur, dass sich ein derartiger Verstoß

auf die Erfolgsaussichten der eigenen Bewerbung auswirken kann. Deren

Erfolg muss bei rechtsfehlerfreiem Verlauf zumindest ernsthaft möglich sein

(BVerfG, Kammerbeschlüsse vom 2. Oktober 2007 - 2 BvR 2457/04 - NVwZ

2008, 194 und vom 8. Oktober 2007 - 2 BvR 1846/07 u.a. - NVwZ 2008, 69;

BVerwG, Urteil vom 18. April 2002 - BVerwG 2 C 19.01 - Buchholz 237.95 § 20

SHLBG Nr. 2).

Der wechselseitige inhaltliche Bezug der Rechte der Bewerber aus Art. 33

Abs. 2 GG schlägt sich in der Entscheidung des Dienstherrn nieder, welchen

Bewerber er für am besten geeignet für das zu vergebende Amt hält. Diese

Auswahlentscheidung betrifft nach ihrem Inhalt alle Bewerber gleichermaßen:

Mit der Auswahl eines Bewerbers geht zwangsläufig die Ablehnung der Mitbewerber

einher. Hat der Dienstherr die Auswahl in Einklang mit Art. 33 Abs. 2

GG vorgenommen, so sind die Bewerbungsverfahrensansprüche der unterlegenen

Bewerber erfüllt. Die gesonderten Mitteilungen der Auswahlentscheidung

an jeden Bewerber, einmal positiven, ansonsten negativen Inhalts, stellen

keine inhaltlich eigenständigen Entscheidungen dar, sondern geben die einheit-

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liche, rechtlich untrennbare Auswahlentscheidung bekannt. Ihre Begründung

muss die maßgebenden Erwägungen des Dienstherrn erkennen lassen.

Der Regelungsgehalt der Ernennung stimmt inhaltlich mit der Auswahlentscheidung

überein. Die Ernennung folgt der Auswahlentscheidung, setzt diese

rechtsverbindlich um und beendet das Auswahlverfahren. Sie ist an keine weiteren

Voraussetzungen als an die Auswahlentscheidung gebunden, sondern

bestätigt diese nach Maßgabe des Art. 33 Abs. 2 GG getroffene Entscheidung

des Dienstherrn auch im Hinblick auf die Bewerbungsverfahrensansprüche.

Ein unter Beachtung des Art. 33 Abs. 2 GG ausgewählter Bewerber hat einen

Anspruch auf Verleihung des Amtes durch Ernennung (vgl. Beschluss vom

27. September 2007 - BVerwG 2 C 21.06, 26.06 und 29.07 - BVerwGE 129,

272 Rn. 45). Die Bewerbungsverfahrensansprüche der unterlegenen Bewerber

gehen durch die Ernennung unter, wenn diese das Auswahlverfahren endgültig

abschließt. Dies ist regelmäßig der Fall, weil die Ernennung nach dem Grundsatz

der Ämterstabilität nicht mehr rückgängig gemacht werden kann, sodass

das Amt unwiderruflich vergeben ist. Ein unterlegener Bewerber kann seinen

Bewerbungsverfahrensanspruch nur dann durch eine Anfechtungsklage gegen

die Ernennung weiterverfolgen, wenn er unter Verstoß gegen Art. 19 Abs. 4 GG

daran gehindert worden ist, seine Rechtsschutzmöglichkeiten vor der Ernennung

auszuschöpfen (vgl. unter 2.).

Die rechtliche Bedeutung der Ernennung wird nunmehr durch den Wortlaut des

hier noch nicht anwendbaren § 9 BeamtStG verdeutlicht. Danach sind Ernennungen

nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung vorzunehmen. Darin

kommt zum Ausdruck, dass nicht nur die Auswahlentscheidung, sondern auch

die daran anknüpfende Ernennung in die Rechte aller Bewerber aus Art. 33

Abs. 2 GG eingreift (vgl. zum Ganzen Schenke, in: Festschrift für Schnapp

(2008), S. 655 <667 f.>; Laubinger, ZBR 2010, 289 <292 f.>). An der gegenteiligen

Rechtsprechung hält der Senat nicht mehr fest (vgl. Urteile vom 9. März

1989 - BVerwG 2 C 4.87 - Buchholz 232 § 23 BBG Nr. 36 S. 7 f. und vom

21. August 2003 - BVerwG 2 C 14.02 - BVerwGE 118, 370 <372 f.> = Buchholz

11 Art. 33 Abs. 2 GG Nr. 27 S. 7 f.).

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2. Die Anfechtungsklage des Klägers gegen die Ernennung scheitert nicht bereits

am Grundsatz der Ämterstabilität, weil dem Kläger der durch Art. 19 Abs. 4

Satz 1 GG, Art. 33 Abs. 2 GG gebotene Rechtsschutz nicht erschöpfend vor

der Ernennung gewährt worden ist. Aus diesem Grund ist eine inhaltliche

Nachprüfung der Ernennung verfassungsrechtlich geboten.

Der Grundsatz der Ämterstabilität steht der Aufhebung einer Ernennung nicht

entgegen, wenn ein herkömmlicher gesetzlicher Rücknahmetatbestand erfüllt

ist. Diese Tatbestände erfassen vor allem Fallgestaltungen, in denen der Gesetzgeber

die Aufrechterhaltung der Ernennung als unerträglich ansieht (vgl.

§ 15 Abs. 1 und Abs. 2 LBG RP; § 12 Abs. 1 und Abs. 2 BeamtStG). Ansonsten

soll das Amt mit der Ernennung des ausgewählten Bewerbers unwiderruflich

vergeben sein, ohne dass es darauf ankommt, ob die Ernennung mit Art. 33

Abs. 2 GG in Einklang steht (Urteile vom 25. August 1988 - BVerwG 2 C

62.85 - BVerwGE 80, 127 <130 f.> = Buchholz 237.6 § 8 NdsLBG Nr. 4 S. 5 f.

und vom 9. März 1989 a.a.O. S. 7 f.; Beschluss vom 30. Juni 1993 - BVerwG

2 B 64.93 - Buchholz 232 § 8 BBG Nr. 49; vgl. auch BGH, Beschluss vom

28. November 2005 - NotZ 18/05 - BGHZ 165, 139 <142 f.>).

Auch wenn die Ernennung in die Rechte der unterlegenen Bewerber aus

Art. 33 Abs. 2 GG eingreift, ist deren Rechtsbeständigkeit aus Gründen der Ämterstabilität

mit dem Grundrecht auf wirkungsvollen gerichtlichen Rechtschutz

nach Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG vereinbar, wenn unterlegene Bewerber ihren

Bewerbungsverfahrensanspruch vor der Ernennung in der grundrechtlich gebotenen

Weise gerichtlich geltend machen können. Es muss sichergestellt sein,

dass ein unterlegener Bewerber die Auswahlentscheidung des Dienstherrn vor

der Ernennung in einem gerichtlichen Verfahren überprüfen lassen kann, das

den inhaltlichen Anforderungen des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG genügt. Hierfür

hat sich eine Praxis der Verwaltungsgerichte herausgebildet, die den gerichtlichen

Rechtsschutz in den Zeitraum zwischen der Auswahlentscheidung und

der Ernennung verlagert. Ein unterlegener Bewerber ist zur Durchsetzung seines

Bewerbungsverfahrensanspruchs darauf verwiesen, eine einstweilige Anordnung

nach § 123 VwGO zu beantragen, durch die dem Dienstherrn die Er-

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nennung des ausgewählten Bewerbers untersagt wird. Erwächst eine einstweilige

Anordnung dieses Inhalts in Rechtskraft, so muss der Dienstherr das Auswahlverfahren,

wenn er es nicht zulässigerweise abbricht, je nach Inhalt und

Reichweite des Verstoßes gegen Art. 33 Abs. 2 GG vollständig oder teilweise

wiederholen und auf der Grundlage des wiederholten Verfahrens eine neue

Auswahlentscheidung treffen (vgl. zum Abbruch: Urteil vom 25. April 1996

- BVerwG 2 C 21.95 - BVerwGE 101, 112 <115>). Der Dienstherr darf den ausgewählten

Bewerber erst ernennen, wenn feststeht, dass der Antrag auf Erlass

einer einstweiligen Anordnung keinen Erfolg hat. Ein Hauptsacheverfahren findet

dann wegen der Rechtsbeständigkeit der Ernennung nicht mehr statt.

Dieses von den Verwaltungsgerichten allgemein praktizierte Modell des vor die

Ernennung gezogenen Rechtsschutzes im einstweiligen Anordnungsverfahren

nach § 123 VwGO wird den sich aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG ergebenden Anforderungen

nur dann gerecht, wenn das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes

die Funktion des Hauptsacheverfahrens übernimmt. Das Verfahren

darf nach Prüfungsmaßstab, -umfang und -tiefe nicht hinter einem Hauptsacheverfahren

zurückbleiben. Dies bedeutet, dass sich die Verwaltungsgerichte

nicht auf eine wie auch immer geartete summarische Prüfung beschränken dürfen.

Vielmehr ist eine umfassende tatsächliche und rechtliche Überprüfung der

Bewerberauswahl verfassungsrechtlich geboten. Auch dürfen die Verwaltungsgerichte

die Anforderungen an einen Erfolg des unterlegenen Bewerbers nicht

überspannen. Stellen sie eine Verletzung des Bewerbungsverfahrensanspruchs

fest, muss die Ernennung des ausgewählten Bewerbers bereits dann durch

einstweilige Anordnung untersagt werden, wenn die Auswahl des Antragstellers

bei rechtsfehlerfreier Auswahl jedenfalls möglich erscheint (stRspr; vgl. BVerfG,

Kammerbeschlüsse vom 19. September 1989 - 2 BvR 1576/88 - NJW 1990,

501; vom 24. September 2002 - 2 BvR 857/02 - NVwZ 2003, 200; vom 9. Juli

2007 - 2 BvR 206/07 - NVwZ 2007, 1178 und vom 2. Oktober 2007 - 2 BvR

2457/04 - NVwZ 2008, 194; BVerwG, Urteil vom 17. August 2005 -BVerwG 2 C

37.04 - BVerwGE 124, 99 <106 f.> = Buchholz 11 Art. 33 Abs. 2 GG Nr. 32

S. 31 f.).

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Hatte ein unterlegener Bewerber Gelegenheit, die Rechtsschutzmöglichkeiten

zur gerichtlichen Nachprüfung der Auswahlentscheidung vor der Ernennung

auszuschöpfen, so sind seine Ansprüche aus Art. 33 Abs. 2, Art. 19 Abs. 4

Satz 1 GG erfüllt. Dies gilt unabhängig davon, ob den gerichtlichen Entscheidungen

materiellrechtliche oder prozessuale Mängel anhaften. Das Grundrecht

auf gerichtlichen Rechtsschutz gibt weder einen Anspruch auf eine „richtige“

Entscheidung noch darauf, dass der Bewerbungsverfahrensanspruch zweimal,

nämlich vor und nach der Ernennung gerichtlich verfolgt werden kann. Eine Anfechtung

der Ernennung ist in diesen Fällen verfassungsrechtlich nicht geboten.

Die Wirksamkeit des Rechtsschutzes vor der Ernennung hängt aber davon ab,

dass der Dienstherr die gerichtliche Nachprüfung seiner Auswahlentscheidung

ermöglicht. Er muss mit der Ernennung des ausgewählten Bewerbers zuwarten,

bis die unterlegenen Bewerber ihre Rechtsschutzmöglichkeiten ausgeschöpft

haben. Daher ergeben sich aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG, Art. 33 Abs. 2 GG

Mitteilungs- und Wartepflichten des Dienstherrn, mit denen Ansprüche der unterlegenen

Bewerber korrespondieren:

Zunächst muss der Dienstherr die Auswahlentscheidung vor der Ernennung

den unterlegenen Bewerbern mitteilen (Urteile vom 1. April 2004 - BVerwG 2 C

26.03 - Buchholz 237.8 § 10 RhPLBG Nr. 1 S. 2 f. und vom 11. Februar 2009

- BVerwG 2 A 7.06 - Buchholz 232 § 23 BBG Nr. 44 Rn. 20). Danach muss er

eine angemessene Zeit zuwarten, damit die Unterlegenen das Verwaltungsgericht

anrufen können. In der Praxis der Verwaltungsgerichte hat sich eine Wartezeit

von zwei Wochen ab Zugang der Mitteilung über die Ablehnung der Bewerbung

als angemessen herausgebildet. Beantragt ein Bewerber rechtzeitig

den Erlass einer einstweiligen Anordnung, darf der Dienstherr die Ernennung

erst nach Abschluss des gerichtlichen Verfahrens vornehmen (Urteil vom

21. August 2003 - BVerwG 2 C 14.02 - BVerwGE 118, 370 <374 f.> = Buchholz

11 Art. 33 Abs. 2 GG Nr. 27 S. 10 f.).

Hat der Dienstherr in der abschließenden Beschwerdeinstanz des einstweiligen

Anordnungsverfahrens vor dem Oberverwaltungsgericht obsiegt, muss er

nochmals angemessene Zeit mit der Ernennung zuwarten, um dem unterlegenen

Bewerber Gelegenheit zu geben, zur Durchsetzung seines Bewerbungs-

33

34

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- 15 -

verfahrensanspruchs nach Art. 33 Abs. 2 GG das Bundesverfassungsgericht

anzurufen. Nach der Kammerrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts

gewährleisten Art. 19 Abs. 4 Satz 1, Art. 33 Abs. 2 GG auch die Möglichkeit,

eine einstweilige Anordnung nach § 32 BVerfGG zu erwirken oder Verfassungsbeschwerde

zu erheben. Nimmt der Dienstherr dem unterlegenen Bewerber

diese Möglichkeit, indem er den ausgewählten Bewerber nach der Entscheidung

des Oberverwaltungsgerichts vor Ablauf einer angemessenen Wartefrist

ernennt, so verhindert er die Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes

(BVerfG, Kammerbeschlüsse vom 28. April 2005 - 1 BvR 2231/02 - NJW-RR

2005, 998 <999>; vom 9. Juli 2007 - 2 BvR 206/07 - NVwZ 2007, 1178; vom

24. September 2007 - 2 BvR 1586/07 - NVwZ 2008, 70 und vom 9. Juli 2009

- 2 BvR 706/09 - NVwZ 2009, 1430).

Nach alledem verhindert der Dienstherr den nach Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG,

Art. 33 Abs. 2 GG gebotenen Rechtsschutz, wenn er den ausgewählten Bewerber

ernennt, obwohl ihm dies durch eine Entscheidung eines Verwaltungsgerichts

oder des Bundesverfassungsgerichts untersagt ist. Gleiches gilt, wenn

er die Ernennung während eines laufenden gerichtlichen Verfahrens vornimmt.

Darüber hinaus liegen Fälle der Rechtsschutzverhinderung vor, wenn der

Dienstherr die Ernennung ohne vorherige Mitteilungen an die unterlegenen

Bewerber oder vor Ablauf der Wartefrist für den Antrag auf Erlass einer einstweiligen

Anordnung, der gesetzlichen Frist für die Beschwerde an das Oberverwaltungsgericht

oder der Wartefrist für die Anrufung des Bundesverfassungsgerichts

vornimmt.

Verstößt der Dienstherr vor der Ernennung gegen Art. 19 Abs. 4 Satz 1, Art. 33

Abs. 2 GG, so muss der verfassungsrechtlich gebotene Rechtsschutz nach der

Ernennung nachgeholt werden. Der Dienstherr kann sich auf die Ämterstabilität

nicht berufen, um Verletzungen des vorbehaltlos gewährleisteten Grundrechts

aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG zu decken. Ansonsten hätte er es in der Hand,

die Grundrechte unterlegener Bewerber durch vorzeitige Ernennungen auszuschalten.

Gefährdungen der Funktionsfähigkeit von Justiz oder Verwaltung

kann der Dienstherr vermeiden, indem er die Anforderungen der Rechtsschutz-

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37

- 16 -

garantie beachtet. Im Übrigen liegen sie wegen der überschaubaren Zahl der

Fälle der Rechtsschutzverhinderung fern.

Dies gilt auch, wenn der Ämterstabilität als Ausdruck des Lebenszeitprinzips

nach Art. 33 Abs. 5 GG nicht nur als Schutz gegen die Entziehung des Amtes

durch den Dienstherrn, sondern auch in Konkurrentenstreitigkeiten Verfassungsrang

zukäme (bejahend etwa Wernsmann, DVBl 2005, 276 <282>;

Schmidt-Preuß, Kollidierende Privatinteressen im Verwaltungsrecht, S. 475 ff;

ablehnend Schenke, Festschrift für Schnapp (2008), S. 655 <688 f.>; Laubinger,

ZBR 2010, 289 <295>).

Nach der Ernennung des ausgewählten Bewerbers kann unterlegenen Bewerbern

gerichtlicher Rechtsschutz nur im Wege der Anfechtungsklage gegen die

Ernennung gewährt werden. Eine andere Möglichkeit zur Durchsetzung ihres

Bewerbungsverfahrensanspruchs besteht nicht. Verstößt die Ernennung gegen

die Rechte des Klägers aus Art. 33 Abs. 2 GG, so ist sie mit Wirkung für die

Zukunft aufzuheben. Die Aufhebung mit Rückwirkung auf den Zeitpunkt der

Vornahme scheidet aus, weil die mit der Ernennung verbundene Statusänderung

jedenfalls ohne gesetzliche Grundlage nicht nachträglich ungeschehen

gemacht werden kann. Die insoweit auch für Richter geltenden Beamtengesetze

sehen die Aufhebung für die Vergangenheit nur in den Fällen vor, in denen

ein Rücknahmetatbestand erfüllt ist (vgl. § 15 Abs. 1 und Abs. 2 LBG RP; § 12

Abs. 1 und Abs. 2 BeamtStG). Zudem erklären sie die Ernennung auf einen

zurückliegenden Zeitpunkt für unzulässig und insoweit unwirksam (vgl. § 8

Abs. 4 Satz 2 LBG RP; nunmehr § 8 Abs. 4 BeamtStG). Gleiches muss für die

Aufhebung der Ernennung gelten, zumal diese zeitliche Beschränkung Rechte

übergangener Bewerber nicht berührt.

Aus den dargelegten Gründen führt der Senat die Rechtsprechung nicht weiter,

dass in den Fällen der Rechtsschutzverhinderung zwar die Ernennung rechtsbeständig

sei, jedoch der Bewerbungsverfahrensanspruch des unterlegenen

Bewerbers mit verändertem Inhalt fortbestehe (Urteil vom 21. August 2003

- BVerwG 2 C 14.02 - a.a.O.). Aufgrund seiner Abhängigkeit von dem konkreten

Auswahlverfahren ist dieser Anspruch nicht darauf gerichtet, eine weitere

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40

- 17 -

Planstelle zu schaffen. Deren Bereitstellung ergibt für funktionsgebundene Ämter

keinen Sinn, weil es an der Möglichkeit einer amtsangemessenen Beschäftigung

fehlt (vgl. Schnellenbach, ZBR 2004, 104 <105>). Hinzu kommt, dass

auch das neue Amt nach den Vorgaben des Art. 33 Abs. 2 GG vergeben werden

muss.

Im vorliegenden Fall kann sich der Beklagte nicht auf die Ämterstabilität berufen,

weil er die Gewährung wirkungsvollen gerichtlichen Rechtsschutzes für den

Kläger verhindert hat. Durch die Ernennung des Beigeladenen zum Präsidenten

des Oberlandesgerichts unmittelbar nach der Bekanntgabe der Beschwerdeentscheidung

des Oberverwaltungsgerichts hat der Justizminister des Beklagten

dem Kläger die Möglichkeit genommen, die Ernennung durch die Anrufung

des Bundesverfassungsgerichts zu verhindern. Er hat die aus Art. 19

Abs. 4 Satz 1, Art. 33 Abs. 2 GG folgende Wartepflicht missachtet. Diesen Verfassungsverstoß

hat bereits das Bundesverfassungsgericht in den Gründen des

Kammerbeschlusses vom 24. September 2007 - 2 BvR 1586/07 - (NVwZ 2008,

70) festgestellt.

Dem Justizminister musste zum Zeitpunkt der Ernennung des Beigeladenen

am 22. Juni 2007 auch bekannt sein, dass er die Ernennung noch nicht vornehmen

durfte. Die Ausführungen des Oberverwaltungsgerichts, wonach das

Bundesverfassungsgericht die Wartepflicht für seine eigene Anrufung erstmals

in dem Kammerbeschluss vom 9. Juli 2007 - 2 BvR 206/07 - (NVwZ 2007,

1178) postuliert habe, sind unrichtig. Dieser Beschluss nimmt ausdrücklich auf

den Kammerbeschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 28. April 2005

- 1 BvR 2231/02 u.a. - (NJW-RR 2005, 998) Bezug. Dort heißt es, eine Verletzung

der Art. 19 Abs. 4 Satz 1, Art. 33 Abs. 2 GG liege vor, wenn einem unterlegenen

Bewerber um eine Notarstelle durch umgehende Ernennung des ausgewählten

Bewerbers die Möglichkeit genommen werde, die Besetzung der

Stelle durch eine verfassungsgerichtliche Eilentscheidung zu verhindern. Der

Justizminister kann sich nicht darauf berufen, diese Entscheidung nicht gekannt

zu haben, zumal der Kläger die Einschaltung des Bundesverfassungsgerichts

bereits angekündigt hatte.

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42

- 18 -

3. Die Ernennung des Beigeladenen zum Präsidenten des Oberlandesgerichts

ist mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, weil sie den Kläger in seinen Rechten

aus Art. 33 Abs. 2 GG verletzt. Die Erwägungen, auf die der Beklagte die

Auswahlentscheidung zugunsten des Beigeladenen gestützt hat, werden den

sich aus Art. 33 Abs. 2 GG ergebenden Anforderungen nicht gerecht. Dies hat

die Rechtswidrigkeit der Ernennung zur Folge, ohne dass es darauf ankommt,

ob der Beigeladene aus anderen als den vom Beklagten angeführten Gründen

in Einklang mit Art. 33 Abs. 2 GG hätte ausgewählt werden können. Die Ernennung

verletzt den Bewerbungsverfahrensanspruch des Klägers, weil es zumindest

ernsthaft möglich erscheint, dass dieser bei rechtsfehlerfreiem Verlauf anstelle

des Beigeladenen ausgewählt und ernannt worden wäre.

Zwar enthält das Berufungsurteil keine tatsächlichen Feststellungen zur Auswahlentscheidung.

Der Senat kann diese Entscheidung jedoch aufgrund der

tatsächlichen Feststellungen des erstinstanzlichen Urteils und des Beschlusses

des Oberverwaltungsgerichts vom 13. Juni 2007 im einstweiligen Anordnungsverfahren

inhaltlich nachprüfen, weil diese von der Bezugnahme des Oberverwaltungsgerichts

auf die Akten der Gerichtsverfahren umfasst werden.

Wie dargelegt dürfen der Entscheidung über die Vergabe eines Amtes im statusrechtlichen

Sinne nur leistungsbezogene Gesichtspunkte zugrunde gelegt

werden, die darüber Aufschluss geben, in welchem Maße die Bewerber den

Anforderungen ihres Amtes genügen und sich in einem höheren Amt voraussichtlich

bewähren werden. Die Entscheidung des Dienstherrn, welche Bedeutung

er den einzelnen Gesichtspunkten beimisst, unterliegt nur einer eingeschränkten

Nachprüfung durch die Verwaltungsgerichte (Urteile vom 16. August

2001 - BVerwG 2 A 3.00 - BVerwGE 115, 58 <60 f.> = Buchholz 232 § 8 BBG

Nr. 54 S. 3, vom 28. Oktober 2004 - BVerwG 2 C 23.03 - BVerwGE 122, 147

<150 f.> = Buchholz 11 Art. 33 Abs. 2 GG Nr. 30 S. 17 und vom 17. August

2005 - BVerwG 2 C 37.04 - BVerwGE 124, 99 <102 f.> = Buchholz 11 Art. 33

Abs. 2 GG Nr. 32 S. 28 f.).

Der für die Bewerberauswahl maßgebende Leistungsvergleich ist anhand aktueller

dienstlicher Beurteilungen vorzunehmen. Deren Eignung als Vergleichs-

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44

45

46

- 19 -

grundlage setzt voraus, dass sie inhaltlich aussagekräftig sind. Hierfür ist erforderlich,

dass sie die dienstliche Tätigkeit im maßgebenden Beurteilungszeitraum

vollständig erfassen, auf zuverlässige Erkenntnisquellen gestützt sind,

das zu erwartende Leistungsvermögen in Bezug auf das angestrebte Amt auf

der Grundlage der im innegehabten Amt erbrachten Leistungen hinreichend

differenziert darstellen sowie auf gleichen Bewertungsmaßstäben beruhen.

Maßgebend für den Leistungsvergleich ist in erster Linie das abschließende

Gesamturteil, das durch eine Würdigung, Gewichtung und Abwägung der einzelnen

leistungsbezogenen Gesichtspunkte zu bilden ist. Sind danach mehrere

Bewerber als im Wesentlichen gleich geeignet einzustufen, kann der Dienstherr

auf einzelne Gesichtspunkte abstellen, wobei er deren besondere Bedeutung

begründen muss. So kann er der dienstlichen Erfahrung, der Verwendungsbreite

oder der Leistungsentwicklung, wie sie sich aus dem Vergleich der aktuellen

mit früheren Beurteilungen ergibt, besondere Bedeutung beimessen (Urteile

vom 19. Dezember 2002 - BVerwG 2 C 31.01 - Buchholz 237.9 § 20 SaarLBG

Nr. 1 S. 2 f.; vom 27. Februar 2003 - BVerwG 2 C 16.02 - Buchholz 237.6 § 8

NdsLBG Nr. 10 S. 2 f. und vom 28. Oktober 2004 - BVerwG 2 C 23.03 - a.a.O.

S. 151 und S. 18).

Der dienstlichen Beurteilung fehlt die erforderliche Aussagekraft, wenn sie auf

einer nur partiell oder bruchstückhaft vorhandenen Kenntnis der für die Bewertungen

erforderlichen Tatsachen beruht. Ist der für die Beurteilung Zuständige

nicht in der Lage, sich ein eigenes vollständiges Bild von den Leistungen des

Bewerbers zu machen, ist er darauf angewiesen, sich die fehlenden Kenntnisse

von anderen Personen zu beschaffen. Hierfür kommen vorrangig, aber nicht

ausschließlich die früher für die Beurteilung Zuständigen sowie Personen in

Betracht, die die Dienstausübung des Bewerbers aus eigener Anschauung kennen.

In diesen Fällen müssen die Beurteilungsbeiträge der sachkundigen Personen

bei der Ausübung des Beurteilungsspielraumes berücksichtigt werden.

Der Beurteiler darf nicht davon absehen, Beurteilungsbeiträge einzuholen, weil

er sich trotz fehlender eigener Anschauung zutraut, den Bewerber zutreffend

einzuschätzen. Zwar ist er an die Feststellungen und Bewertungen Dritter nicht

gebunden, sondern kann zu abweichenden Erkenntnissen gelangen. Er übt

seinen Beurteilungsspielraum jedoch nur dann rechtmäßig aus, wenn er die

47

- 20 -

Beurteilungsbeiträge in seine Überlegungen einbezieht. Abweichungen müssen

nachvollziehbar begründet werden. Diese Anforderungen stellen sicher, dass

Werturteile auf einer tragfähigen Tatsachengrundlage beruhen und sich an den

von Art. 33 Abs. 2 GG vorgegebenen Kriterien orientieren (Urteile vom

5. November 1998 - BVerwG 2 A 3.97 - BVerwGE 107, 360 <361 f.> = Buchholz

236.11 § 1a SLV Nr. 5 S. 12; vom 21. März 2007 - BVerwG 2 C 2.06 -

Buchholz 232.1 § 40 BLV Nr. 27 Rn. 10 und vom 16. Oktober 2008 - BVerwG

2 A 9.07 - Buchholz 11 Art. 87a GG Nr. 6 Rn. 35 <insoweit nicht veröffentlicht in

BVerwGE 132, 110>).

Danach erweist sich die Auswahlentscheidung zugunsten des Beigeladenen

schon deshalb als rechtsfehlerhaft, weil dessen Anlassbeurteilung nicht auf einer

tragfähigen Tatsachengrundlage beruht. Der für die Beurteilung zuständige

Justizminister hat sich kein Bild über die dienstliche Tätigkeit des Beigeladenen

als Präsident des Landessozialgerichts verschafft. Hierfür reichen weder die

statistischen Angaben über die Entwicklung der Sozialgerichtsbarkeit während

der Amtszeit des Beigeladenen noch die Eindrücke aus, die der Justizminister

in seiner Amtszeit als Präsident des Oberlandesgerichts Koblenz aufgrund der

Zusammenarbeit der Präsidenten der Obergerichte des Landes von dem Beigeladenen

gewonnen hat.

Statistische Angaben über Erledigungszahlen und Verfahrenslaufzeiten im Bereich

einer Gerichtsbarkeit lassen für sich genommen keine zuverlässigen

Rückschlüsse auf die Leistungen eines Gerichtspräsidenten und seine Eignung

für das Amt des Präsidenten eines Obergerichts zu. Da sie dem Präsidenten

nicht unmittelbar zugerechnet werden können, sind sie allenfalls geeignet, das

Werturteil über die Führung der Dienstgeschäfte abzurunden.

Dass persönliche Eindrücke von einer Person aufgrund von Begegnungen bei

Tagungen und vergleichbaren Veranstaltungen nicht geeignet sind, um auf weitere

Erkenntnisse über dessen dienstliche Tätigkeit zu verzichten, liegt auf der

Hand. Derartige Zusammenkünfte können keine Tatsachengrundlage liefern,

auf die ein Gesamturteil über dienstliche Leistungen und über die Eignung für

ein höherwertiges Amt gestützt werden kann.

48

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- 21 -

Da dem Justizminister eigene Tatsachenkenntnisse fehlten, um Leistung und

Eignung des Beigeladenen erschöpfend beurteilen zu können, war er verpflichtet,

auf andere Erkenntnisquellen zurückzugreifen. Es hätte nahegelegen, Beurteilungsbeiträge

hinreichend sachkundiger Mitarbeiter der Personalabteilung

des Justizministeriums anzufordern. Der Beklagte hat zu keiner Zeit behauptet,

dass derartige Beiträge eingeholt wurden. Daher kann dahingestellt bleiben, ob

der Justizminister die Beurteilung des Beigeladenen vor der Eröffnung der Personalreferentin

des Justizministeriums zur Prüfung zugeleitet hat. Das Oberverwaltungsgericht

ist im Berufungsurteil von einer entsprechenden Feststellung

in dem Beschluss vom 13. Juni 2007 abgerückt (Urteilsabdruck S. 40).

Jedenfalls hat die Personalreferentin keinen Beurteilungsbeitrag erstellt.

Darüber hinaus verletzt auch der Leistungsvergleich, auf den der Beklagte die

Auswahlentscheidung gestützt hat, den Bewerbungsverfahrensanspruch des

Klägers. Zum einen sind die zugrunde gelegten Leistungskriterien nicht aussagekräftig,

zum anderen fehlt es an gleichen Bewertungsmaßstäben für Kläger

und Beigeladenen.

Da beide das bestmögliche Gesamturteil erhielten, war es dem Beklagten möglich,

die Auswahlentscheidung auf bestimmte, als besonders bedeutsam angesehene

Leistungsgesichtspunkte zu stützen. Nach den Feststellungen des

Oberverwaltungsgerichts in dem Beschluss vom 13. Juni 2007 hat der Beklagte

darauf abgestellt, dass der Beigeladene bereits seit sieben Jahren Präsident

eines Obergerichts war, in dieser Eigenschaft ein höher bewertetes Richteramt

als der Kläger wahrnahm, die Sozialgerichtsbarkeit im statistischen Ländervergleich

in die Spitzengruppe geführt habe und ihm eine stetige Innovations- und

Modernisierungsbereitschaft eigen sei.

Das Amt des Beigeladenen als Präsident des Landessozialgerichts kann hier

für sich genommen keinen entscheidenden Eignungsvorsprung gegenüber dem

Kläger begründen. Gleiches gilt für die unterschiedliche Einstufung der Richterämter.

Denn das zu besetzende Amt ist in der ordentlichen Gerichtsbarkeit angesiedelt,

in der nur der Kläger, nicht aber der Beigeladene über dienstliche

Erfahrungen als Richter und Gerichtspräsident verfügt (vgl. BVerfG, Kammer-

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53

54

- 22 -

beschluss vom 20. März 2007 - 2 BvR 2470/06 - NVwZ 2007, 691; vgl. auch

BVerwG, Urteil vom 17. August 2005 - BVerwG 2 C 37.04 - BVerwGE 124, 99

<103> = Buchholz 11 Art. 33 Abs. 2 GG Nr. 32 S. 29 zur Bedeutung eines höherwertigen

Dienstpostens).

Die statistisch erfassten Verbesserungen im Bereich der Sozialgerichtsbarkeit

während der Amtszeit des Beigeladenen können einen Eignungsvorsprung

nicht begründen, weil sie nicht lediglich das Werturteil über die Amtsführung

des Beigeladenen abrunden. Vielmehr wird die Bewertung, der Beklagte verfüge

über herausragende Fähigkeiten, ausschließlich mit den Statistiken belegt.

Diese Betrachtungsweise greift zu kurz, weil sie die Besonderheiten des Amtes

eines Gerichtspräsidenten außer Acht lässt. Aufgrund der durch Art. 97 Abs. 1

GG gewährleisteten Unabhängigkeit der Richter, die alle Bestandteile der

Rechtsprechungstätigkeit umfasst, übt ein Gerichtspräsident keine Leitungsfunktion

für diese Tätigkeit aus. Da er auf die Arbeitsweise der Richter nicht

unmittelbar einwirken kann, ist er auch nicht für deren Arbeitsergebnisse verantwortlich,

wie dies bei einem Behördenleiter in Bezug auf die Arbeit der Mitarbeiter

der Behörde der Fall sein mag. Ein Gerichtspräsident kann nur Vorschläge

machen und motivierend tätig werden, etwa mit gutem Beispiel vorangehen,

um auf höhere Erledigungszahlen und kürzere Verfahrenslaufzeiten

hinzuwirken. Er muss zu erkennen geben, dass er Verbesserungen in diesem

Bereich nicht Vorrang um jeden Preis einräumt, sondern die Bedeutung der

statistisch nicht erfassbaren inhaltlichen Qualität der Rechtsprechung, etwa der

Bemühungen um eine erschöpfende Sachverhaltsaufklärung, nicht aus dem

Blick verliert. Die Feststellung und Bewertung derartiger Bemühungen eines

Gerichtspräsidenten kann nicht durch eine undifferenzierte Hervorhebung statistischer

Angaben ersetzt werden.

Insoweit hat der Beklagte auch das Gebot gleicher Bewertungsmaßstäbe nicht

beachtet. Hierfür wäre erforderlich gewesen, die statistische Entwicklung im

Bereich des Landgerichts Koblenz während der Amtszeit des Beklagten in vergleichbarer

Weise festzustellen und unter Berücksichtigung der Besonderheiten

der unterschiedlichen Gerichtsbarkeiten und Instanzen mit den statistischen

Angaben über die Sozialgerichtsbarkeit zu vergleichen.

55

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- 23 -

Auf die dem Beigeladenen zugeschriebene Modernisierungs- und Innovationsbereitschaft

konnte die Auswahlentscheidung nicht gestützt werden, weil dieses

Merkmal inhaltlich gänzlich unbestimmt geblieben ist. Der Beklagte hat nicht

deutlich gemacht, auf welche Tatsachen diese Wertung gestützt ist. Demzufolge

hat er auch nicht dargelegt, auf welche Weise sich der Beigeladene hier

vom Kläger abgehoben haben könnte.

Die dargestellten Defizite der Auswahlentscheidung haben zur Folge, dass der

Beklagte ein neues Auswahlverfahren für die Besetzung der Stelle des Präsidenten

des Oberlandesgerichts durchführen muss. Aus diesem Grund kann der

Antrag des Klägers, den Beklagten zu seiner Ernennung anstelle des Beigeladenen

zu verpflichten, keinen Erfolg haben. Für die erneute Bewerberauswahl

müssen aktuelle Anlassbeurteilungen der Bewerber erstellt werden, wobei auch

der seit 2007 verstrichene Zeitraum einzubeziehen ist. Dies bedeutet, dass

auch die Amtsführung des Beigeladenen als Präsident des Oberlandesgerichts

im Falle seiner erneuten Bewerbung zu beurteilen ist (vgl. Beschluss vom

11. Mai 2009 - BVerwG 2 VR 1.09 - Buchholz 11 Art. 33 Abs. 2 GG Nr. 43

S. 16).

4. Der Grundsatz des Vertrauensschutzes nach Art. 20 Abs. 3 GG gebietet

nicht, im vorliegenden Fall von der Aufhebung der Ernennung abzusehen und

es bei der Feststellung der Rechtswidrigkeit der Ernennung zu belassen. Eine

Änderung der Rechtsprechung ist unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes

unbedenklich, wenn sie hinreichend begründet ist und sich im Rahmen

einer vorhersehbaren Entwicklung hält (vgl. BVerfG, Beschluss vom 15.

Januar 2009 - 2 BvR 2044/07 - BVerfGE 122, 248 <277 f.>). Dies ist hier der

Fall. Die Auffassung, die Aufhebung der Ernennung scheitere in den Fällen der

Rechtsschutzverhinderung nicht bereits am Grundsatz der Ämterstabilität,

schließt eine Entwicklung ab, die der Senat durch die Urteile vom 13. September

2001 - BVerwG 2 C 39.00 - (BVerwGE 115, 89 = Buchholz 237.3 § 41a

BrLBG Nr. 1) und vom 21. August 2003 - BVerwG 2 C 14.02 - (BVerwGE 118,

370 = Buchholz 11 Art. 33 Abs. 2 GG Nr. 27) eingeleitet hat. Die Gründe des

auf die Verfassungsbeschwerde des Klägers ergangenen Kammerbeschlusses

vom 24. September 2007 - 2 BvR 1586/07 - (NVwZ 2008, 70) lassen darauf

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schließen, dass auch die zuständige Kammer des Bundesverfassungsgerichts

angenommen hat, die Rechtsprechung des Senats sei im Wandel begriffen. Im

Schrifttum ist die Anfechtbarkeit der Ernennung seit langem gefordert worden,

wobei die Beschränkung auf Fälle der Rechtsschutzverhinderung überwiegend

abgelehnt wird (vgl. nur Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz und Risikoverteilung

im Verwaltungsrecht, 1988, S. 692 ff.; Schenke, Festschrift für Schnapp (2008),

S. 655 <667 f.>; Laubinger, ZBR 2010, 289 <292 f.>; Battis, Kommentar zum

BBG, 4. Auflage 2009, § 9 Rn. 30 f.; Höfling, in Bonner Kommentar zum Grundgesetz

Stand: August 2007, Art. 33 Abs. 1 bis 3 Rn. 367 f.; Wahl/Schütz, in:

Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, Kommentar zur VwGO, § 42 Abs. 2

Rn. 325; Kopp/Schenke, Kommentar zur VwGO, 16. Auflage 2009, § 42

Rn. 49).

Davon abgesehen ist ein Vertrauen des Beklagten in die Rechtsbeständigkeit

der Ernennung auch wegen des Verfassungsverstoßes des Justizministers

nicht schutzwürdig. Zwar hat der Beigeladene erhebliche Nachteile zu tragen.

Er kann in dem Amt des Präsidenten des Landessozialgerichts nicht mehr

amtsangemessen beschäftigt werden. Auch dies ist auf das Vorgehen des Beklagten

zurückzuführen, der die einzige Stelle nach der Ernennung des Beigeladenen

zum Präsidenten des Oberlandesgerichts trotz Warnungen zügig besetzt

hat. Der Beklagte ist aus Gründen der Fürsorgepflicht gehalten, die Folgen

für den Beigeladenen soweit als möglich auszugleichen. Er kann den Beigeladenen

mit dessen Zustimmung in ein anderes gleichwertiges Amt der Besoldungsgruppe

R 6 versetzen. Aus diesem Grund hat der Senat die Wirksamkeit

seines Urteils hinsichtlich der Aufhebung der Ernennung auf den Zeitpunkt

der Urteilszustellung hinausgeschoben. Der Beigeladene kann sich erneut um

das Amt des Präsidenten des Oberlandesgerichts bewerben. Schließlich ist zu

berücksichtigen, dass einer weiteren, allein der Ämterstabilität geschuldeten

Amtsführung des Beigeladenen ein Makel anhaften würde, wenn es der Senat

bei der Feststellung der Rechtswidrigkeit der Ernennung beließe. Seinen Belangen

wird dadurch Rechnung getragen, dass die Auswahlentscheidung in

einem neuen Bewerbungsverfahren unter seiner Beteiligung dann unter Berücksichtigung

einer dienstlichen Beurteilung zu treffen ist, die seine Leistungen

im Amt des Präsidenten des Oberlandesgerichts bewertet (Beschluss vom

60

- 25 -

11. Mai 2009 - BVerwG 2 VR 1.09 - Buchholz 11 Art. 33 Abs. 2 GG Nr. 43

Rn. 4).

Auf die Verfahrensrügen des Klägers braucht der Senat nicht einzugehen, weil

sie für den Ausgang des Revisionsverfahrens unerheblich sind. Da die Klage

mit dem Hauptantrag Erfolg hat, ist über die hilfsweise gestellten Verpflichtungs-,

Bescheidungs- und Feststellungsanträge nicht zu entscheiden.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 und Abs. 3, § 162 Abs. 3

VwGO.

Herbert Dr. Heitz Thomsen

Dr. Maidowski Dr. Eppelt

61

62

Sachgebiet: BVerwGE: ja

Beamtenrecht Fachpresse: ja

Rechtsquellen:

GG Art. 19 Abs. 4 Satz 1

Art. 33 Abs. 2

VwGO § 123

LBG RP § 8 Abs. 1 und 4

§ 15 Abs. 1 und 2

LRiG RP § 5 Abs. 1

Stichworte:

Amt im statusrechtlichen Sinne; Ernennung; Beförderung; Bewerberauswahl;

Leistungsgrundsatz; Bewerbungsverfahrensanspruch; Ämterstabilität; Rechtsschutzgarantie;

Verhinderung wirkungsvollen Rechtsschutzes; Anlassbeurteilung;

Beurteilungsbeitrag; Leistungsvergleich; Eignungsvorsprung; Grundsatz

gleicher Bewertungsmaßstäbe; Aussagekraft statistischer Angaben.

Leitsätze:

Die Ernennung des in einem Stellenbesetzungsverfahrens erfolgreichen Bewerbers

ist ein Verwaltungsakt mit Drittwirkung, der in die Rechte der unterlegenen

Bewerber aus Art. 33 Abs. 2 GG eingreift.

Der Grundsatz der Ämterstabilität steht der Aufhebung der Ernennung auf Klage

eines unterlegenen Bewerbers nicht entgegen, wenn dieser daran gehindert

worden ist, die Rechtsschutzmöglichkeiten zur Durchsetzung seines Bewerbungsverfahrensanspruchs

vor der Ernennung auszuschöpfen.

Der Dienstherr muss nach Obsiegen im einstweiligen Anordnungsverfahren vor

dem Oberverwaltungsgericht mit der Ernennung angemessene Zeit zuwarten,

um dem unterlegenen Bewerber die Anrufung des Bundesverfassungsgerichts

zu ermöglichen.

Einer dienstlichen Beurteilung fehlt die Aussagekraft für den Leistungsvergleich

der Bewerber, wenn der für die Erstellung Zuständige keine Beiträge Dritter

eingeholt hat, obwohl er die dienstliche Tätigkeit des beurteilten Bewerbers

nicht aus eigener Anschauung kennt.

Urteil des 2. Senats vom 4. November 2010 - BVerwG 2 C 16.09

I. VG Koblenz vom 01.07.2008 - Az.: VG 6 K 1816.07.KO -

II. OVG Koblenz vom 30.01.2009 - Az.: OVG 10 A 10805/08 -